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Geschichte der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in BW

Die Offene Kinder- und Jugendarbeit hat in Baden-Württemberg eine lange Geschichte

Mit der Geschichte der OKJA in Baden-Württemberg hat sich die AGJF in ihrem „Geschichtsprojekt“ (von 1986 bis Anfang der 90er Jahre) ausgiebig beschäftigt und das Wissen in drei Büchern zusammengetragen. Neben den gesammelten Fakten sind aber auch Fragen spannend wie: Welche Ideen haben die Mitarbeiter*innen über die Jahrzehnte umgetrieben? Was wollten sie „ihren“ Kindern und Jugendlichen nahebringen? Was wollten die Kinder und Jugendlichen selbst? Und auch: Was macht den Spielplatz oder das Jugendhaus so wertvoll für die Besucher*innen, dass sie freiwillig kommen?

Die Anfänge

Entstanden ist die Offene Kinder- und Jugendarbeit in Baden-Württemberg durch das Engagement der amerikanischen Armee. Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus unterhielt die US Army bis Anfang der 50er Jahre etwa 300 Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in ihrer Besatzungszone. Die sogenannten „German Youth Acitivities (GYA)-Häuser“ waren Teil des „Re-Education-Programms“ für deutsche Jugendliche. Es ging um demokratische Erziehung, fair play und citizenship, also um die Demokratisierung der deutschen Jugendlichen. Im Zentrum stand dabei schon damals der „Offene Betrieb“ - die selbstbestimmte Freizeitgestaltung.
Das stieß nicht auf ungeteilte Begeisterung. Viele deutsche Jugendarbeiter*innen lehnten dieses Konzept ab und es gab in Württemberg die Forderung an die Kommunen Mittel für eigene Jugendhäuser bereit zu stellen. Im französisch besetzten Süd-Baden wurde die Einrichtung von Jugendhäusern schon damals zur bedingten Pflichtaufgabe der kommunalen Jugendämter erklärt.

Die 50er Jahre

Nach dem Abzug der amerikanischen Armee wurde das GYA-Programm beendet und in Folge viele Häuser wieder geschlossen oder auch von deutschen Trägern übernommen. Die amerikanische Militärregierung, bzw. nach Gründung der Bundesrepublik die „High Commission of Germany“, unterstützte aber weiterhin den Bau neuer Jugendhäuser für deutsche Träger mit Spenden aus den USA, veranstaltete Tagungen und finanzierte Studienaufenthalte in den USA.
1955 gibt es in Baden-Württemberg nur noch etwa fünfzehn Jugendhäuser. In den folgenden Jahren nimmt ihre Zahl, besonders in den größeren Städten, aber schnell wieder zu. Das Arbeitskonzept der ersten deutschen offenen Jugendarbeiter*innen ist allerdings, im Vergleich zu den GYA-Einrichtungen, ein komplett anderes. Für die Mehrheit der Pädagogen und Pädagoginnen ist der Offene Bereich eine „Gefährdung“ für die Jugendlichen. Im Jugendhaus gelten jetzt strikte Regeln und im Mittelpunkt der Arbeit stehen Angebote für eine „sinnvollen Freizeitgestaltung“. In Baden-Württemberg ist dies vor allem die musische Bildungsarbeit. Mehrheitlich galt damals: „Rumgammeln gab es bei uns nicht!“ (deutscher Hausleiter). Wer ins Jugendhaus kommt, hat sich bitte zu beschäftigen, vorzugsweise in den Werkstätten.
In Mannheim, Heidelberg, Sinsheim, Karlsruhe, Pforzheim, Stuttgart, Esslingen, Göppingen und einigen kleineren Gemeinden gibt es »Offene Türen« für Kinder und Jugendliche, die von Kommunen, Jugendringen oder Vereinen unterhalten werden.

Die 60er Jahre

Bei den Kindern und Jugendlichen provoziert das Konzept der vorgegebenen Beschäftigung mehr und mehr Widerstand. Auch gibt es inzwischen ein größeres Angebot an kommerziellen Freizeitaktivitäten, was einen stetigen Schwund von Besucher*innen in den Einrichtungen zur Folge hat. Dies führt schließlich zu einem langsamen Umdenken in den Konzepten der Jugendarbeit - die Bedürfnisse von Jugendlichen sind nicht mehr „gefährlich“, sondern legitim und sollen berücksichtigt werden.

1962 ist ein wichtiges Jahr für die Jugendfarmen und Aktivspielplätze - durch Thyra und Edgar Boehm entsteht im Stuttgarter Elsental die erste Jugendfarm Deutschlands.


Auch die Professionalität des Arbeitsfeldes macht weitere Schritte. Junge Erziehungswissenschaftler*innen entwickeln eine erste sozialpädagogische Theorie der Offenen Jugendarbeit, die auch den Startpunkt setzt für die Diskussion um eine sozialpädagogische Ausbildung für Mitarbeiter*innen in Jugendhäusern.

Ende der 60er Jahre entsteht, im Sog der außerparlamentarischen Opposition, die Jugendzentrumsbewegung. Vor allem in ländlichen Gemeinden fordern die Jugendlichen „selbstverwaltete Jugendzentren“.

In erster Linie ist es ihr Interesse an frei zugänglichen Räumen ohne „pädagogische Zumutungen“ und so werden in einigen Jugendhäusern schon in der ersten Hälfte des Jahrzehnts „Partys“ gefeiert.

Der Ausbau der OKJA verläuft insgesamt noch verhalten.

70er Jahre

In mehr als 1.000 Gemeinden und Kleinstädten gehen Jugendliche auf die Straße und demonstrierten mit dem Slogan „Was wir wollen – Freizeit ohne Kontrollen!“ für selbstverwaltete Jugendzentren. Sie besetzen leerstehende Häuser und der „Offene Betrieb“, als Mittelpunkt des Hauses, wird wiederentdeckt. Auch in den Einrichtungen etablierter Träger werden nun Elemente der Mitbestimmung praktiziert.

Am 6. April 1971 wird das Jugendzentrum Aktion Jugendzentrum Backnang eingeweiht. Es ist heute das älteste noch existierende selbstverwaltete Jugendzentrum in der Bundesrepublik.

Am 15. Oktober 1973 wird in Pforzheim die Arbeitsgemeinschaft Jugendfreizeitstätten Baden-Württemberg e.V. (AGJF) gegründet - als erster landesweiter Dachverband, in dem sich die verschiedenen Einrichtungen und Träger der Offenen Kinder- und Jugendarbeit organisieren.

Ab Mitte der 70er Jahre verschärft sich die soziale Lage vieler Jugendlicher. Stichworte sind Schulstress, schwierige Familienverhältnisse, harte Drogen, Lehrstellenmangel und Arbeitslosigkeit. Die Offene Jugendarbeit wird in den nächsten Jahren immer mehr sozialpolitisch in die Pflicht genommen – ihre Aufgabe ist es jetzt sich um „schwierige“, „benachteiligte“ Jugendliche zu kümmern.

In der Mehrzahl der Einrichtungen arbeiten jetzt ausgebildete Sozialpädagog*innen und der Professionalisierungsprozess des Arbeitsfeldes geht weiter voran. Die Offene Kinder- und Jugendarbeit beginnt „ein selbstverständlicher Teil kommunaler Infrastruktur« zu werden. Bis 1976 öffneten weitere 1.000 Jugendhäuser.

Auch Spielmobile und weitere Jugendfarmen und Aktivspielplätze öffnen ihre Türen und Tore. 1972 wird der Bund der Jugendfarmen und Aktivspielplätze gegründet. Allein in Stuttgart gab es Mitte der Siebziger Jahre bereits 14 Einrichtungen.

Parallel zur Jugendfarmbewegung entsteht das Konzept der Spielmobile – ursprünglich mit dem Ziel der Industrialisierung und der damit verbundenen Verbannung von Kindern aus Lebens- und Spielräumen entgegenzuwirken. Stereotypen Spielplätzen und der „autogerechten Stadt“ wurden kommunikationsfreundliche und fantasievolle Spielmöglichkeiten entgegengesetzt.

80er Jahre

Nach den heftigen Diskussionen der 70er Jahre orientiert sich die Praxis nun überwiegend pragmatisch an den Jugendlichen. Die Idee der „Infrastrukturarbeit“ verbreitete sich und es geht nicht mehr allein um (pädagogische) Beziehungen, sondern auch darum, Jugendlichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Diskutiert wird nicht mehr was Jugendarbeit „sein soll“, sondern was sie Jugendlichen real bieten kann.
Neue Konzeptionen werden in den Bereichen feministischer Mädchenarbeit und der Kulturarbeit entwickelt. Die geschlechterdifferenzierende Arbeit entwickelt sich - zunächst die Mädchen-, später auch die Jungenarbeit. In vielen Jugendhäusern werden Mädchenräume zum Standard und es etablieren sich die Mädchengruppen.
Der Ausbau der Einrichtungen geht stark gebremst weiter und gleichzeitig entstehenden Differenzierungen: Zentrale Kulturzentren, Werkstatthäuser, Einrichtungen für Kinder oder Medienzentren ergänzen jetzt die klassischen Stadtteiljugendhäuser. In dieser Periode entsteht auch das Vorurteil, dass die Jugendhäuser nur noch von sog „Randgruppen“ besucht werden. 1980 wird im Heidelberger Stadtteil Ziegelhausen über Nacht das selbstverwaltete Jugendzentrum im denkmalgeschützten Rathause abgerissen. Vorausgegangenen waren Auseinandersetzungen zwischen dem damaligen OB und der Jugendzentrumsinitiative.
1988 organisiert das Kulturfenster in Heidelberg die erste Kinderspielstadt in Baden-Württemberg – bis Corona findet Heidel-York jeden Sommer statt.

90er Jahre

Aus der »Infrastrukturarbeit« wird die „Sozialraumorientierung“. Das Angebot im Jugendhaus orientiert sich am Bedarf, der sich aus der sozialen Lage der unterschiedlichen Gruppen von Jugendlichen im Stadtteil ergibt und der methodisch erhoben wird. Gestritten wird darüber, ob die einstmals fortschrittlichen emanzipatorischen Zielsetzungen dabei nicht verloren gehen. Zunehmend wird nach den „Ergebnissen“ der Offenen Kinder- und Jugendarbeit gefragt – zum Teil ein Grund dafür, dass der Offene Bereich zugunsten organisierter (zähl- und nachweisbarer) Angebote wieder reduziert wird. Die Frage nach Ergebnissen erhält im Folgenden immer mehr Gewicht und die Diskussion um Qualitätsentwicklung beginnt.
Viele Erwachsene sind über den zunehmenden Medienkonsum der Jugendlichen besorgt. Aber auch einzelne „Gruppen“ geraten in den Blickwinkel: Migrant*innen, Aussiedler*innen, „rechte“ Jugendliche und die steigende Zahl von Jungen und Mädchen ohne Ausbildungsplatz und Berufsperspektive. Viele Jugendliche zeigen sich wenig interessiert am gesellschaftlichen und sozialen Geschehen – für die Mitarbeiter*innen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit ein Grund, wieder verstärkt Konzepte der Partizipation in ihrer Arbeit umzusetzen.
In den Großstädten entstehen die ersten Jugendzentren für queere Jugendliche, viele Einrichtungen machen für sie gezielte Angebote. Vor allem größere Träger können expandieren. Sie übernehmen Aufgaben im Rahmen der Betreuung von Kindern und Jugendlichen vor und nach der Schule. Die Kassen der öffentlichen Hand sind nicht mehr im bisherigen Maße gefüllt, aber in Baden-Württemberg bleiben die Einrichtungen im Durchschnitt von tiefen Einschnitten in der finanziellen Ausstattung noch verschont.

2000er Jahre

Durch die Ergebnisse der PISA Studie wird der Bildung zum zentralen Thema in den ersten Jahren nach der Jahrtausendwende.
Der Umfang der Kooperationen von OKJA mit Schulen nimmt zu. Die sich langsam entwickelnden Ganztagesschulen machen der Kinder- und Jugendarbeit Sorgen: wird es daneben bei den Kindern und Jugendlichen noch Platz und Zeit für die OKJA geben?
Gleichzeitig werden die Potenziale und Stärken der Einrichtungen im Bildungsbereich dargestellt und es findet eine deutliche Abgrenzung vom formalen Bildungssystem der Schule statt. Die OKJA bietet durch ihr Setting und ihre Konzepte besondere Möglichkeiten für die zur Persönlichkeitsentwicklung so wichtigen informellen Bildungsprozesse - durch Partizipationsmöglichkeiten und als Experimentierraum. Auch das Kernstück der OKJA Jugendarbeit, der Offene Betrieb, spielt dabei eine wichtige Rolle. Solche informellen Bildungsprozesse sind unverzichtbar für die Entwicklung von „Lebenskompetenz“.

2003 schließen sich die Landesorganisationen der OKJA in der Landesarbeitsgemeinschaft Offene Jugendbildung (LAGO) zusammen um in Zukunft gemeinsam die Interessen des Arbeitsfeldes gegenüber Politik und Verantwortlichen zu vertreten. 2005 legt die Enquete-Kommission des Landtags, ihre Ergebnisse zum demografischen Wandel vor und die Studie von Ulrich Bürger vom KVJS: „Kinder- und Jugendhilfe im Demografischen Wandel“ hat intensive Diskussionen der Zukunftsszenarien in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit zur Folge. 2011 überrascht das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Fachwelt auf dem Kinder- und Jugendhilfetag in Stuttgart mit einem »Eckpunktepapier«, in dem unter anderem gefordert wird, dass Kindern und Jugendlichen wieder mehr frei verfügbare Zeit eingeräumt werden muss.

Wenn Sie noch mehr zur Geschichte der AGJF erfahren möchten, die ja mehr als eng mit der Geschichte der OKJA in Baden-Württemberg verknüpft ist, können Sie hier die Zeitschrift Offene Jugendarbeit herunterladen, die eine Reise durch die ersten 40 Jahre AGJF unternimmt.
Quelle: „Meine 2. Heimat – 60 Jahre Offene Kinder- und Jugendarbeit in Baden-Württemberg“ Begleitheft zur Fotoausstellung der AGJF im Landtag von Baden-Württemberg